Gefunden
Lektüre für ein langes, verregnetes Wochenende
Von: soundjunkie
Betrifft: Offener Brief an Universal-Kopierschutz.de
Newsgroups: de.comp.audio
Datum: 2002-10-12 12:04:53 PST
Offener Brief an
info@universal-kopierschutz.de
Liebe Kopierschuetzer der Universal,
die Ihr hier von mir stellvertretend fuer andere Hueter des Rechts am
digitalen Klangeigentum angeschrieben werdet: Ihr habt sicherlich
nicht erwartet, dass diese Mailadresse fuer Begeisterungsausbrueche
genutzt wird. Warum soll man es auch als Fortschritt empfinden, seine
Lieblingsband nicht mehr ohne Qualitaetseinbussen im Player seiner
Wahl hoeren zu koennen?
Das geschieht selbstverstaendlich in der edlen Absicht, die
Interessen Eurer Kuenstler zu schuetzen - eine Tradition der
Musikindustrie, fuer die besonders die Majors geschaetzt werden. Ich
bin geradezu dankbar dafuer, dass der Universal-Kopierschutz
ueberhaupt das Abspielen des kostspieligen Silberlings am Computer
erlaubt.
Ich weiss, Ihr geht durch harte Zeiten. Umsaetze brechen weg, der
Mutterkonzern taumelt. Die Labels werden neu strukturiert und manche
haben den Umzug nach Berlin noch nicht verkraftet. Da troestet auch
der wunderschoene Blick ueber die Spree nicht, den Ihr aus Eurem
schicken Wasserpalast geniessen koennt. Gestattet mir trotzdem, den
Stolz auf Euer hauptstaedtisches Firmendomizil mit Euch zu teilen -
schliesslich habe ich jahrelang etwas dazugegeben.
Um mit Heine zu sprechen: Ich fuerchte, ich gleite aus dem suessen
Gewaesser des Lobes unversehens ins bittere Meer des Tadels. Verbale
Entgleisungen bitte ich a priori zu entschuldigen - Musik ist nun mal
ein emotionsgeladene Angelegenheit.
Mein Vorwurf lautet, dass das Lamento um CD-Brenner und
Internettauschboersen lediglich ein Vorwand ist, um schlussendlich
das Recht auf die private Kopie grundsaetzlich auszuhebeln.
"Pay-per-listen" - das ist Euer Wunschtraum: Jeder Abspielvorgang
kostet ein paar Microcent und nach vier Wochen muss die Basislizenz
erneuert werden. Die Kundenabspeisung funktioniert
vertriebskostensenkend ueber das Internet, waehrend der Preis pro
Song sich nur unwesentlich vom anteiligen Verkaufspreis eines
Longplayers unterscheidet. Die tauben Tekknokids koennen den
Frequenzgang verlustbehafteter Kompressionsverfahren sowieso nicht
von der ohnehin eingeschraenkten Samplingqualitaet einer CD
unterscheiden. Die Kroenung des Ganzen waere dann eine Copyright
Taskforce a la Zollfahndung, die spontan Festplatten und mobile
Abspielgeraete nach Tracks ohne Wasserzeichen durchkaemmen darf.
Soweit die Unterstellung.
In Wirklichkeit ist die Krise der Musikindustrie hausgemacht und hat
mit Hobbybrennern und Netztauschern wenig zu tun. Um es kurz zu
machen:
Ihr produziert seit Jahren zuviel Schrott mit immer kuerzerer
Halbwertszeit zu steigenden Kosten. Massengeschmack statt Innovation,
Hochglanz statt Inhalt, Banalitaet statt Werte. Die Abspielgehilfen
aus Funk und Fernsehen haben ihre Programme stromlinienfoermig nach
Euren Vorgaben angepasst und werden mit Interviewreisen,
Freiexemplaren und Backstage-Paessen bei Laune gehalten. Eine
inflationaere Schar von Musikmagazinen rezensiert noch den letzten
Schund, weil die betreffende Company Anzeigen oder gar das Cover
bezahlt hat.
Gleichzeitig werden von Euren mundfertigen, aber von Fachkenntnissen
gaenzlich unbelasteten Wichtigtuern Unsummen bei Produktion und
Promotion versenkt. Da werden Tagespauschalen an Tonstudios gezahlt,
die laengst nicht mehr marktueblich sind. Es werden suendhaft teure
Videos gedreht, die keine Station zeigen will. Mit der Giesskanne
werden Promopaeckchen uebers Land verspritzt; begleitet von
kryptisch-feuilletonistischen Bandinfos, die offensichtlich von
Schuelerzeitungsredakteuren morgens nach dem Abi-Ball verfasst
wurden. Auf grosskotzig gebuchten Tourneen spielen enttaeuschte
Kuenstler vor leeren Hallen, verdienen sich gierige
Catering-Unternehmen eine goldene Nase, rollen Nightliner zu
Mondpreisen und tummeln sich zahllose Mitesser mit glaenzenden
VIP-Kaertchen am Halsband.
Meist laesst sich Gott sei Dank der komplette Kostenblock vom
Einkommen der Kuenstler abziehen. Was aber, wenn man den
Hungerleidern nichts mehr abziehen kann, weil der ganze Zirkus
floppt? Nur drei Prozent aller Acts verdienen fast hundert Prozent
des Firmengewinns, wie wir wissen. Ist das ein Marktgesetz oder ein
Ausdruck von Unfaehigkeit?
Nun also liegt Eure Antwort auf den ganzen Schlamassel auf meinem
Tisch und ich gebe zu, ich bin nicht amuesiert. Meine zentrale
Musikstation ist mein Computer. Wozu einen separaten CD-Spieler
kaufen, wenn der Rechner das Laufwerk gleich mitbringt? Statt nach
dem genuesslichen Auspacken das volle Klangerlebniss ueber meine hart
ersparten Edelboxen zu hoeren, werde ich dazu genoetigt, einer
unerwuenschten Software Zugriffsrechte auf meinem Computer
einzuraeumen. Was dann ertoent, sind herunterkomprimierte Audiotracks
in mp3-Qualitaet. Die originalen Wavefiles sind unzugaenglich. Der
lausig programmierte Software-Player schluckt selbst im Ruhezustand
fuenfmal mehr CPU-Leistung als der genuegsame Windows-Standardplayer.
Apple-Computer, bekanntermassen die Lieblingsgeraete von Musikern auf
der ganzen Welt, werden erst gar nicht unterstuetzt.
Werde ich dafuer in Zukunft 17 Euro ausgeben?
Nein.
Ich fuehle mich bestraft von einer Branche, die ihre Hausaufgaben
nicht gemacht hat. Die reformunwillig und reaktionaer und deshalb in
ihrer jetzigen Form rechtmaessig zum Untergang verurteilt ist. Liebe
Musikfreunde in den Verwaltungsetagen der Plattenkonzerne: Falls Ihr
es noch nicht bemerkt habt - das Zeitalter der Dampfmaschine ist
angebrochen. Segelschiffe und Pferdefuhrwerke werden bald nur noch
von Nostalgikern benutzt. Sogar das gemeine Volk kann sich eine Fahrt
mit der Eisenbahn leisten. Will heissen:
Segelflicker und Kutscher werden nicht mehr gebraucht.
Haette es mp3-Files und CD-Brenner nicht gegeben, haette ich meine
achtjaehrige Musikkonsum-Abstinenz nicht beendet. Weil formatierte
Radioprogramme laengst nicht mehr als Informationsquelle fuer neue
Musik dienen, haben Audiofiles und Kopien von Freunden meine Ohren
wieder fuer zeitgenoessische Popmusik geoeffnet. In den letzten vier
Jahren habe ich so viele Original-CDs angeschafft wie im ganzen
vorhergehenden Lebensabschnitt zusammen. Das war harte Arbeit. Meine
Faustregel lautet: Eine Scheibe muss mindestens 12 Tracks haben, von
denen die Haelfte mehr als zweimal gehoert werden kann. Wenn man
dieser Regel folgt, kann man nur eine von zehn CDs kaufen.
Wenn ich eine CD kaufe, stimme ich ab: Ich will meine Favoriten in
den Charts sehen, damit andere auf sie aufmerksam werden. Aus dem
gleichen Grund moechte ich Freunden unkompliziert eine Kopie brennen
oder meiner Stammkneipe eine Compilation basteln duerfen. Wenn sich
dann nur ein Zuhoerer das Original oder ein Konzertticket kauft, hat
sich die Muehe gelohnt. Auf die Art und Weise habe ich schon mehr
Leute angefixt als jede Streifenbandanzeige im Stadtmagazin. Ich bin
ein Ein-Mann-Streetteam im Auftrag des guten Geschmacks. Naja.
Was soll ich in Zukunft tun ? Einen CD-Brenner und ein Crackprogramm
beschaffen, das den Kopierschutz ignoriert ? Dateien grundsaetzlich
aus dem Netz ziehen? Den Minidisk-Recorder an den Kopfhoererausgang
im Plattenladen anschliessen? Neue Scheiben nicht mehr kaufen, alte
dafuer kopieren? Das Radioprogramm auf Festplatte mitschneiden lassen
und hinterher sortieren ? Was auch immer ich davon waehle,
Plattenfirmen und Kuenstler werden mich als zahlenden Kunden
verlieren.
Eine Armee schiesst in die falsche Richtung, weil der Generalstab
keinen Schlachtplan hat - hit by friendly fire. So werden aus
Kollateralschaeden ein Totalschaden. Die gewerbsmaessigen Piraten in
Russland oder Asien, die es immer gegeben hat, werdet Ihr damit nicht
beeindrucken. Aber Ihr werdet dafuer sorgen, dass Musik auf
Schulhoefen und in Kinderzimmern noch weniger zum Thema wird als
ohnehin.
Eure Umsatzeinbrueche sind Zeitzeichen. Waehrend es Euch noch vor
kurzem praechtig ging, spuert Ihr nun die Wirkung von Rezession und
Verunsicherung. Zusaetzlich konkurrieren Unterhaltungsformen wie
Computerspiele und Spass-/Extremsportarten mit dem Musikhoeren.
Funktelefone, Tattoos und Markenklamotten kosten Geld. Bildung und
Kultur verlottern pisamaessig, die Aufmerksamkeitsspanne der Kids hat
sich dramatisch verkuerzt. Drei Jahre Gitarre lernen? No way. Die
Musikindustrie hat es vorgemacht: Sampling und Recycling
funktionieren praechtig, wozu fuer eigene Ideen schwitzen? Wer als
Erwachsener die Charts beobachtet, fuehlt sich an seine Kindheit
erinnert. Coverversions von Elvis, den Bee Gees und Joan Jett loesen
einander ab; alte Helden wie Groenemeyer retten die EMI vorm
Bankrott, Stones und U2 spielen Rekordsummen ein, ein zipfelbaertiger
Peter Gabriel spielt altersmilde laechelnd Jungspunde an die
Boxenwand. Der Gipfel der Altstoffverwertung ist das aktuelle Cover
vom Lagerfeuerheuler "House Of The Rising Sun".
Eine Industrie mit Zukunft ? Schrumpft in Wuerde.
Selbstverständlich stammt dieser Text nicht aus meiner Feder.Ebenso bedeutet es nicht,nur weil ich ihn hier reingestellt habe,dass ich mich mit diesen in irgendeiner Weise identifiziere